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Ein inspirierendes Gespräch mit Tan Çağlar

Wer ist Tan Çağlar? Comedian? Schauspieler? Professioneller Rollstuhl-Basketballer? Ein Mensch, der mit Spina bifida geboren wurde? Oder wie die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Tan Çağlar ist der witzigste rollstuhlfahrende Deutschtürke der Welt!“ Wir wollten es selbst herausfinden, haben Tan Çağlar auf der Bühne bei seiner Stand-Up-Comedy-Show „Geht nicht? Gibt’s nicht!“ erlebt und durften auch hinter den Vorhang blicken. 

Tan ist intelligent, ein Profi auf der Bühne und auf dem Spielfeld, er liest die Gedanken des Publikums und weiß, wie er sein Publikum und seine Gegner mit einem Move verblüffen kann und zur Pointe und Korb einnetzen kann. Er jongliert mit Stereotypen und Klischees wie mit einem Ball. Einer, der immer auf Ballhöhe ist und längst die innere Größe hat, Witze über sich selbst zu machen. Treffsicher ist er, wenn er erzählt, wenn er, der Türke im BMW zum Supermarkt fährt und sich zielsicher auf den Behindertenparkplatz stellt. Die Blicke verfolgen ihn – bis er sich auf einen Rollstuhl hievt.

Wir konnten nicht nur Tans beeindruckende Bühnenpräsenz und seinen unwiderstehlichen Humor erleben, sondern auch seine inspirierende Persönlichkeit spüren. In einem späteren Gespräch mit uns erzählt Tan sehr offen von den zahlreichen Herausforderungen in seinem Leben.

Seid gespannt auf unser inspirierendes Interview mit Tan Çağlar über Erfolge, Herausforderungen, Humor und ein großes Herz!

Vom Aufstehen und Weitermachen

Jacqueline Pirkelbauer, Geschäftsführerin von Child-Help e.V., und Tan Çağlar haben sich in einem Café in Hildesheim zum Gespräch getroffen. Der Comedian und Schauspieler erzählt sehr offen, wie Spina bifida sein Leben verändert hat und wie er gelernt hat, damit umzugehen und andere zu inspirieren.

Jacqueline: Wie war deine Kindheit?

Tan:

Meine Eltern waren sehr fürsorglich, und ich bin sehr behütet aufgewachsen. Ich hatte Asthma und alle möglichen Allergien. Dies hat mich von meinem eigentlichen Handicap abgelenkt. Ich habe früh gelernt, sehr auf meinen Körper zu hören und zu achten. Dennoch war ich wie andere Kinder aktiv, habe Basketball und Fußball gespielt. Klar habe ich gemerkt, dass bei mir etwas anders war. Ich war öfter bei Ärzten als andere Kinder. Meine Freunde haben von neuen Bolz- und Spielplätzen erzählt, die sie entdeckt haben, ich von einem neuen Arzt. Je älter ich wurde, desto mehr wurde mir die Krankheit bewusst.

Der Rollstuhl war aber etwas Endgültiges. Als Kind und Jugendlicher war das für mich völlig unvorstellbar. Ich habe zuvor Fußball und Basketball auf sehr hohem Niveau gespielt. Klar wusste ich, dass ich eine Gehbehinderung habe, aber in einem Rollstuhl sitzen?

Jacqueline: Menschen, die einen schweren Unfall hatten, sitzen von einem Tag auf den anderen im Rollstuhl. Wie war es bei dir? 

Tan:

Bei mir war es ein schleichender Prozess über mehrere Monate, das hat es so schwer gemacht. Ich war in der Zeit viel mit Krücken unterwegs, hatte große Ängste und Komplexe. Ich erzählte allen, dass ich einen Kreuzbandriss hätte. Ich hoffte natürlich, dass ich wieder ohne Krücken laufen werden könne. Krücken sind einfach unpraktisch, irgendwann ist es anstrengend, es tut weh, du kannst nichts tragen und du hast die Hände nicht frei.

Wenn ich bei einer Veranstaltung war, habe ich einen Rollstuhl benutzt und ich habe gemerkt, dass ich das immer öfter gemacht habe. Irgendwann war ich auf einer Messe für Menschen mit Behinderung. Da dachte ich, alle schauen mich an, aber ich habe gemerkt, dass die anderen auf der Messe genauso sind wie ich. Das Gefühl kam aber wieder, als ich außerhalb einen Mitarbeiter der Messe traf. Da habe ich gemerkt, die Leute schauen dich immer an.

Jacqueline: Wie hast du es geschafft, die Komplexe zu beseitigen und wieder selbstbewusst aufzutreten?

Tan:

Je länger du im Rollstuhl sitzt, desto sicherer wirst du. Der entscheidende Punkt war der Sport. Bei der Reha fragte mich der Therapeut: „Tan, du hast doch Basketball auf hohem Niveau gespielt. Wieso spielst du nicht Rollstuhlbasketball?“ Zuerst hat mich das nicht interessiert, aber dann habe ich die Spiele bei einem internationalen Turnier im Fernsehen gesehen. Da merkte ich, wie aufregend der Sport ist, dass es wirklich hart zur Sache geht.

Ich hatte Depressionen und habe viel zuhause gesessen. Das hat wieder meinen Ehrgeiz geweckt und ich habe einen Profivertrag bekommen. Es war wichtig für mich, dass das Publikum Eintritt bezahlt, um mich und die anderen Jungs spielen zu sehen. Das hat mir mein Selbstbewusstsein zurückgegeben.

Jacqueline: Ich habe erlebt, dass du Menschen unglaublich inspirierst. Sie fühlen sich verstanden, sie haben in dir ein Vorbild, eine Motivation. Welche Personen oder Ereignisse haben dich beeinflusst und/oder inspiriert? 

Tan:

Oh, ich sauge alles auf, was mir Energie gibt: Filme, Musik, Sportler, Begegnungen mit Menschen und die große Liebe meiner Eltern.

Filme, vor allem aus den 1980er und 1990er Jahren, haben mich sehr inspiriert und inspirieren mich noch immer. Ich mag vor allem die Rocky-Filme: Dort geht es ums Hinfallen, Aufstehen, Weiterkämpfen. Die Filme mit Bud Spencer und Terence Hill und Robert de Niro schaue ich mir immer wieder gerne an. Musik inspiriert mich auch sehr, vor allem Hip-Hop der 1990er wie Tupac Pidi. Wenn es mir nicht so gut geht, höre ich Musik im Auto.

Die Begegnung mit Bülent Ceylan hat mich sehr berührt und hat mich als Comedian weitergebracht. Natürlich habe ich als Basketballfan noch immer ein riesiges Poster von Michael Jordan. Ja, es hilft, Helden für sich zu haben.

Die größten Helden sind meine Eltern. Sie haben für mich ihr Leben aufgegeben. Sie hätten in die Türkei zurück gehen können, aber sie haben entschieden, hier zu bleiben, weil sie wussten, dass ich hier besser medizinisch versorgt werde und mehr Chancen habe. Sie leben nur für mich.

Vorbild zu sein, ist eine große Verantwortung. Man muss gut damit umgehen können und sich bewusst sein, dass jede Kleinigkeit Folgen hat, gute wie schlechte.

Hoffnung ist das Wichtigste. Aber auch, die Situation zu akzeptieren, Resilienz zu haben.

Jacqueline: Welchen Einfluss hat Humor und Comedy bei der Bewältigung von Herausforderungen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen?

Tan:

Es braucht Resilienz und es gibt Instrumente, um mit der Situation umzugehen. Es helfen Freunde, Familie, gute Therapeuten, aber auch Interessen und Hobbies. Ich habe Humor als ein Instrument entdeckt, mit dem sehr ernste Themen leichter werden und ausgesprochen werden können.

Mit Behinderung bist du in einer Situation, die als nicht normal gilt. Mit Humor baust du eine Brücke zu Menschen ohne Behinderung und zur Normalität. Mein Anliegen ist es, Leute zu verbinden, Leute sichtbar zu machen. Alles, was du mit den Augen sehen kannst, erscheint dir als normal. Viele Leute haben Berührungsängste. Wenn Leute mich sehen, denken sie vermutlich: „Hoffentlich passiert mir das nicht.“ Durch meine Präsenz auf der Bühne schaffe ich Sichtbarkeit dafür, dass Behinderung als eine andere Normalität gesehen wird, die einfach im Leben dazugehört.

Ich will nicht als behinderter Mensch gesehen werden, sondern als Comedian und Schauspieler.

Jacqueline: Was sind deine zukünftigen Projekte und Ziele?

Tan:

Ich muss dich enttäuschen. Mein großes Ziel ist es, keine Ziele zu haben, weil man nicht weiß, was kommen wird. Wichtig ist mir, immer weiterzumachen, nicht aufzuhören. Es geht immer besser und es geht immer weiter. Der Weg ist das Ziel!

Jacqueline: Was motiviert dich, weiterzumachen, und welche Botschaft möchtest du an deine Fans weitergeben?

Tan:

Gebt die Hoffnung niemals auf. Wenn eine Tür zugeht, dann gehen zwei andere auf. Je lauter die Tür zuschlägt, desto mehr Wind macht sie und dann gehen mehr Türen auf.

Immer weitermachen. Rückschlage gibt es immer, aber immer weitermachen.

 

Jacqueline: Was würdest du unseren Unterstützern und der Öffentlichkeit über unsere Mission und Arbeit sagen?

Tan:

Beschäftigt euch mit dem, was Child-Help macht, mit wie viel Herz sie sich einsetzen. Child-Help hilft, wo es nicht einfach ist und dort, wo es am notwendigsten ist.

Tan: So, jetzt frage ich mal. In den USA ist die Gesellschaft schon viel weiter als in Deutschland bei der Integration von Menschen mit Behinderungen. Wie sieht es in Afrika aus? 

Jacqueline:

In vielen afrikanischen Ländern, vor allem auf dem Land, wird eine Behinderung als ein Makel für die ganze Familie und als Belastung angesehen. Leider bekommt nicht jedes Kind von beiden Elternteilen so viel Unterstützung wie du von deinen bekommen hast.

Beautiful heißt das Mädchen aus Uganda, das mit Spina bifida geboren wurde und in unserem Jahresbericht erzählt, wie schwierig der Alltag ist, weil selbst das Krankenhaus oder die Schule für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer unzugänglich sind. Aber das Schmerzhafteste an einer Behinderung ist die Sichtweise der anderen Menschen. Deshalb ist es für Child-Help wichtig, nicht nur das Leben der Kinder zu retten, sondern auch das Bewusstsein der Menschen gegenüber Menschen mit Behinderung zu ändern.

Beautiful hat in ihrem Leben gelernt, dass sie mehr ist als ihre Behinderung. Sie hat ihre eigene Persönlichkeit und Talente entwickelt, das ist wichtig.

Genauso sehe ich das bei dir, Tan. Du bist deinen Weg gegangen, stehst selbstbewusst auf der Bühne, machst Witze über dich selbst und inspirierst mit deiner Lebensgeschichte andere Menschen.

 

Vielen Dank, Tan, für dieses inspirierende Gespräch und dafür, dass du deine Erfahrungen und deinen Humor mit uns geteilt hast. Deine Worte sind für uns eine wertvolle Motivation und zeigen, dass man mit Mut, Entschlossenheit und einem großen Herzen jede Herausforderung meistern kann.

Für weitere Informationen zu Child-Help, könnt ihr hier auf unserer Webseite mehr über uns und unsere Projekte lesen oder uns direkt unterstützen.